Zehlendorfer Gemeindefahrt nach Lettland – Ein Reisebericht
Ereignisreiche Tage liegen hinter der Reisegruppe, die bei der Gemeindefahrt unserer St. Mariengemeinde nach Lettland dabei waren. Am Dienstag, dem 3. Juli, startete um 8.50 Uhr die Maschine von Air Baltic von Berlin-Tegel in Richtung Riga. Nach etwa ein dreiviertel Stunden landeten wir mit 16 Teilnehmern pünktlich auf dem Flughafen in Riga. Erwartet wurden wir schon von Pfarrer Andris Krauliņš, Pastor der Evangelisch-Lutherischen St. Johannesgemeinde in Piņķi, einem Vorort von Riga, der uns in perfektem Deutsch willkommen hieß. Neben seiner Aufgabe im Gemeindepfarramt ist er zuständig für die Außenbeziehungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands (ELKL) zu anderen Kirchen und als solcher auch Mitglied der Kirchenleitung seiner Kirche. Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) und die ELKL sind in einer geregelten Partnerschaft miteinander verbunden. Zudem ist Pfarrer Krauliņš ausgebildeter Spiritual seiner Kirche. Nun ist ihm auch die Rolle als Reiseleiter vor Ort zugefallen. So hat er für uns Taxis organisiert, die uns vom Flughafen ins Hotel brachten. Nachdem ein jeder sein Hotelzimmer beziehen konnte, gab es eine erste Stadtführung mit Pfarrer Krauliņš durch die Hansestadt Riga. Spuren deutscher Geschichte konnten wir an zahllosen historischen Gebäuden entdecken.
Der Mittwoch war geprägt von einer Führung durch das Automobilmuseum Riga. Trotz anfänglicher Skepsis waren wir doch vom Besuch in diesem Museum begeistert. Nach dem Mittagessen fuhren wir in die neue Nationalbibliothek. Herz, Seele und Gedächtnis der lettischen Kultur sind in einem Gebäude vereint. Nicht nur die zahllosen Werke lettischer Literatur sind dort zu finden, sondern auch die Architektur zog uns in den Bann. Kompetent durch die Stockwerke geführt, konnten wir zum Abschluss in einem Raum unsere Andacht feiern. Abends hörten wir ein beeindruckendes Konzert in der alten Gertruden-Kirche, einer Gemeinde unserer lettischen Partnerkirche. Geistliche Lieder aus dem Bereich der russisch-orthodoxen Kirche wurden von verschiedenen Chören über zweieinhalb Stunden in hervorragender Qualität zu Gehör gebracht und rundeten den Tag ab.
Mit zwei angemieteten Kleinbussen starteten wir am Donnerstag früh in den Tag. Unsere erste Station war die St. Annenkirche, die zum Pfarrbezirk von Pfarrer Krauliņš gehört, wo wir unsere Morgenandacht feierten. Nach einer Führung durch ein beeindruckendes neues Haus, gebaut aber aus ausschließlich alten und schon in anderen Gebäuden verwendeten Materialien, bekamen wir eine Führung durch die Bäckerei Lāči. Überrascht wurden wir davon, dass wir eingeladen wurden, selbst Hand anzulegen und Brot zu backen. Gesagt, getan! In Lebensmittelanzüge gehüllt wurden wir in die Backstube geführt und haben jeder unser eigenes Brot gebacken. Wir hatten viel Spaß. Nach dem Mittagessen fuhren wir in das Schloss Rundāle. Es ist ein beeindruckendes Barockschloss in der lettischen Region Semgallen, 10 Kilometer westlich der Stadt Bauska gelegen. Es wird oft als das Versailles des Baltikums bezeichnet. Pfarrer Krauliņš führte diejenigen, die das Schloss besichtigen wollten, durch die Räume, während ein anderer Teil der Gruppe die Seele im Rosengarten baumeln ließ. Der Bau des Schlosses wurde von der russischen Zarin Anna Iwanowna veranlasst und sollte als Sommerresidenz des kurländischen Herzogs Ernst Johann Biron dienen. Mit dem Entwurf wurde der russisch-italienische Architekt und Baumeister am Zarenhof Bartolomeo Francesco Rastrelli beauftragt, der bereits die Pläne für den Winterpalast der Eremitage in St. Petersburg erstellt hatte. Der Grundstein wurde 1735 gelegt, die Bauarbeiten dauerten zunächst bis 1740. Der Schlosspark wurde ebenfalls nach Rastrellis Vorgaben im französischen Stil angelegt und mit 328.185 Linden bepflanzt. Anschließend fuhren wir nach Bauska, um dort zu Abend zu essen, um dann gestärkt den Rückweg nach Riga anzutreten.
Der Freitag stand im Zeichen des Doms zu Riga. Morgens um 8.00 Uhr feierten wir dort im Hohen Chor einen Gottesdienst in lettischer Sprache mit. Kaum ein Wort verstehend wussten wir uns in der lutherischen Liturgie doch gut aufgehoben. Anschließend führte uns Pfarrer Krauliņš durch den Dom, welcher der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands mit ihrem Erzbischof Jānis Vanags als Gottesdienstort dient. Nach der Führung durch den beeindruckenden Dom zu Riga ging die Reisegruppe in den Wehrmanngarten. Anlässlich des 100-jährigen Jahrestages der Staatsgründung gab es dort zahllose, kostenfreie Konzerte, die auf die Zuhörer warteten. Der Tag begann im Dom und endete dort. Abends um 22.00 Uhr lauschten einige einem Konzert lettischer Lautenspieler, das auch vom lettischen Fernsehen übertragen wurde.
Am Samstag starteten wir mit unseren zwei Minibussen in Richtung Kap Kolka zwischen der Rigaer Bucht und der offenen Ostsee. Nach zweieinhalbstündiger Fahrt trafen wir dort ein und ließen es uns am Strand gut gehen. Nach dem Mittagessen fuhren wir ins nahegelegene Mazirbe. In der dortigen Evangelisch-Lutherischen Kirche feierten wir zunächst eine Andacht. Pfarrer Krauliņš führte uns in die Geschichte des Ortes und der dortigen kirchlichen Einrichtung ein. Pfarrer Kārlis Irbe, Gemeindepastor der Ortsgemeinde und Leiter des kirchlichen Erholungs- und Tagungseinrichtung stellte das Projekt der ELKL vor. Vor allem dient der Ort zur stillen Einkehr für Pfarrer unter seelsorgerlicher Begleitung eines Spirituals, ist aber auch offen für Laien, die Ruhe und seelsorgerliche Begleitung wünschen. Auch Familienfreizeiten und Klausurtagungen von Pfarrkonventen und Kirchenvorständen sind dort möglich. Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche hat sich finanziell mit 20.000 EUR an diesem Zentrum beteiligt. Dieses Geld wird zum Ausbau von Gruppenräumen verwendet. Diese Zuwendung ist willkommen, da die Landeskirchen aufgrund der Rücknahme der Frauenordination finanzielle Mittel für die lettische Kirche gestrichen hat. „Richten Sie Bischof Voigt unseren herzlichen Dank aus!“, bat Pfarrer Kārlis Irbe. Nach dem Besuch des geistlichen Rüstzentrums in Mazirbe fuhren wir zur Weinverkostung und durften von einigen edlen Tropfen kosten.
Am Sonntag fuhren wir zum Gottesdienst in die Evangelisch-Lutherische St. Johannesgemeinde nach Piņķi (Pinkenhof). Von deutscher Vergangenheit zeugten der alte Kelch und die Taufschale mit Widmung in deutscher Sprache. Der Gottesdienst, der in deutscher und lettischer Sprache gehalten wurde, war von Pfarrer Krauliņš vorbereitet worden. Im Gottesdienst predigte Pfarrer Markus Büttner. Bischof i.R. Dr. Jobst Schöne D.D. wirkte ebenfalls mit. Nach dem Gottesdienst grillte der Vorsitzende des Kirchengemeinderates, Herr Ritvars Heniņš, für uns. Viele Köstlichkeiten machten jedem Hunger und Durst schnell ein Ende. Abends nahmen wir am großen Abschlusskonzert des Sängerfestes teil. Dank der Sekretärin von Pfarrer Krauliņš, die Karten besorgt hatte, konnten wir durch dieses Konzert einen tiefen Blick in die Seele der Letten gewinnen. Frauen und Männer in Trachten sangen mehrstimmige Chorsätze. Obwohl es kein geistliches Konzert war, erhoben sich die fast 40.000 Besucher beim Vaterunser, das von über 15.000 Sängern vorgetragen wurde. Komponiert von Lucija Garuta (1902-1977) aus der Kantate, Gott, dein Land brennt, aus dem Jahr 1943, wurden wir mit hineingenommen in dieses Gebet. Auch die Nationalhymne, Gott, segne Lettland, wurde gesungen. Der amtierende Staatspräsident Raimonds Vējonis hielt eine Ansprache. Auch wenn wir zunächst die Erheiterung nicht verstehen konnten, so wurden wir später aufgeklärt: Er wünschte den Konzertbesuchern kein schönes Sängerfest, sondern ein schönes Weihnachtsfest. Weit nach Mitternacht kamen wir im Hotel an.
Der Montag war für eigene Erkundungen frei. Abends lud uns der Kirchengemeinderat der Evangelisch-Lutherischen St. Johannesgemeinde in Piņķi zum Abendbrot ein. Das mehrgängige Menü im Restaurant eines Gemeindegliedes schmeckte uns allen ausgezeichnet. Während des Essens erläuterte der Vorsitzende des Kirchengemeinderates, Herr Ritvars Heniņš, die Gemeindestruktur. Anders als in Deutschland gibt es neben dem Pastor als geistlichem Leiter der Gemeinde einen „weltlichen“ Leiter. Letzterer kümmert sich um alle Belange, die nicht geistlicher Natur sind, wie Grundstücksverwaltung, Friedhofsverwaltung, Finanzen, Bau und Sanierung von Gebäuden. Der Pfarrer soll frei sein, sich ganz auf seine geistlichen Aufgaben zu konzentrieren. In einem zweiten Teil des Gesprächs wurde die Struktur der Gesamtkirche erläutert, die sich auch deutlich von der in der SELK unterscheidet. Laien sind für die weltlichen Dinge verantwortlich, während die Geistlichen die Verantwortung für den Glauben tragen. Das höchste Gremium ist die Synode, in der alle 140 Pfarrer und alle Gemeinden mit je zwei Laienvertretern mit Sitz und Stimme vertreten sind. So kommt die alle vier Jahre tagende Synode auf etwa 400 Synodale. Dadurch ist gewährleistet, dass jede Gemeinde mit ihrem Pfarrer gehört und eingebunden ist. Neben der Synode ist die Kirche in drei Bistümer aufgeteilt. Je ein Bistum wird von einem Bischof, bzw. das Bistum Riga vom Erzbischof, geleitet. Neben der Kirchenleitung gibt es noch das Bischofskollegium. Die Kirchenbezirke werden von je einem Propst geleitet, der auch zur Kirchenleitung gehört. In einem abschließenden Gespräch erklärten uns die Schwestern und Brüder, vor welchen Herausforderungen die lettische Gesellschaft steht, aber auch wie sich das Verhältnis von Kirche und Staat entwickelt. Mit Dank für die Gastfreundschaft verabschiedeten wir uns von unseren lettischen Freunden und Geschwistern im Glauben und Bekennen. Am Dienstag traten wir den Rückflug an und landeten gegen 14.00 Uhr auf dem Flughafen in Tegel. Voller dankbarer Erinnerungen an wundervolle Tage verabschiedeten wir uns voneinander. (MB)